Die Wahrheit ist auf dem Platz

von Falk Schreiber

März 2022. Angeblich ist es ja so, dass Komödien es nicht leicht hätten im deutschen Theaterbetrieb. Dramaturg:innen würden sich angewidert vom leichten Stoff abwenden, Jurys hätten keine Lust, sich mit Humor auseinanderzusetzen, wenn sie sich auch mit dem ernsten Fach beschäftigen könnten. Und es stimmt ja auch: Bei den großen Treffen für neue Dramatik, beim Heidelberger Stückemarkt oder beim Stücke-Festival in Mülheim, findet man nur selten explizite Komödien, solange sie nicht von Sibylle Berg geschrieben sind und in Wahrheit vor allem das Grauen hinter dem Gelächter zeigen. 

Nach dieser Logik macht Leo Meier falsch, was man falsch machen kann. Weil Meiers Stück "zwei herren von real madrid“ nämlich ganz zweifellos eine Komödie ist, keine Tragödie, die nur so tut, als ob sie zum Lachen sei. Meiers Vorbild ist – bis hin zum Stücktitel – Loriots Sketch "Zwei Herren im Bad", in dem sich zwei distinguierte Männer eine Badewanne teilen und in eine Diskussion verfallen, ob eine Quietscheente mit in die Wanne darf. Ein reizender Sketch, ein harmloser Sketch. Aber auf jeden Fall nicht der schlechteste Bezugsrahmen.

Ein Stück der Fallhöhen

Bei Meier sind die zwei Herren Fußballprofis. Und zwar richtige Stars: Sie spielen beim Weltklasseverein Real Madrid, Mittelfeld und Sturm. Freilich, beim Spiel sehen wir sie nie, sondern beim Abhängen im Wäldchen, bei einer seltsam verkrampften Weihnachtsfeier, bei einer Pressekonferenz. Überhaupt sind das merkwürdige Fußballer. Die beiden scheinen sich nicht einmal zu kennen; als sie einander das erste Mal begegnen, stellen sie überrascht fest, dass sie anscheinend gemeinsam auf dem Platz stehen. Dafür verlieben sie sich ziemlich schnell ineinander. Und bleiben dabei distinguiert und per Sie. Wie die Herren in Loriots Badewanne, die sich zwar gegenseitig die Geschlechtsteile vor der Nase baumeln lassen, einander aber weiterhin konsequent mit "Herr Dr. Klöber" und "Herr Müller-Lüdenscheid" ansprechen.

"zwei herren von real madrid" ist ein Stück der Fallhöhen. Einerseits ist da die tatsächlich zart und zurückhaltend beschriebene Liebe zwischen Stürmer und Mittelfeldspieler. Und der gegenüber steht die absurde Distanz, mit der die Figuren das gesamte Stück über miteinander umgehen. Da ist das kleinbürgerliche Umfeld, in dem die beiden Spieler zum Weihnachtsessen bei der Familie eingeladen sind, und da ist die forcierte Internationalität des globalen Spitzensports, inklusive einer nur minimal satirisch überspitzten Pressekonferenz, bei der die Marketingleiterin des Vereins versucht, in jedem Satz mindestens einmal den Hauptsponsor zu erwähnen.

Was für ein Vergnügen!

Dass die beschriebene Liebe nach knapp 50 Seiten schon wieder zu Ende ist, weil der Beruf (beziehungsweise das moderne Gladiatorentum des Fußballs) eine feste Beziehung unmöglich macht, lässt einen "zwei herren von real madrid" auch noch als Melodram lesen. Genauso, wie man den Text auch als derben Schwank lesen könnte, in dem eine Pfarrerin eine Beerdigungsrede mit Pimmelwitzchen würzt. Oder als Sozialdrama, das einen ahnen lässt, dass Homosexualität im Spitzensport nicht auf die leichte Schulter genommen werden kann, obwohl: Wirklich wichtig ist das auch nicht. Ach, dieses Stück ist ein Vergnügen, in seiner Reichhaltigkeit und seiner Vielstimmigkeit!

Aber lässt es sich auch spielen? Meier ist selbst Schauspieler – ausgebildet an der Folkwang Hochschule Essenn, mit Erfahrung sowohl im Film als auch im Theater –, der weiß, dass Komödie nicht in erster Linie im Text liegt, sondern im Spiel. Also gibt er den Schauspieler:innen Gelegenheit, den Text für sich anzupassen. Regieanweisungen findet man kaum welche, und wenn, dann helfen sie nicht. "telefonate sind nicht einfach zu spielen, aber sie schaffen das!", gibt einem Meier nach einer Szene mit auf den Weg, in der man den Mittelfeldspieler am Telefon sah, na, Dankeschön. An einer anderen Stelle wird man Zeuge von Smalltalk auf einer Beerdigung, und Meier gibt Ratschläge, wie sich die Schauspieler:innen auf diese Szene vorbereiten können: "bitte, improvisieren sie, was das zeug hält! gehen sie in eine theatervorstellung und hören sie sich das gerede danach an, es wird sich nicht sonderlich von dem gerede nach unserer beerdigung unterscheiden." Hübsch. Aber als Hinweis, wie der Autor sich die Inszenierung vorstellt, geht das nicht wirklich durch. Eher als Komödie, in der die Skurrilität der Handlung sich aus der Handlung heraus in die Regieanweisungen einschreibt.

Kein Wort zuviel

Tatsächlich ist dem Stücktext eine kurze Widmung vorangestellt, die klarmacht, was sich Meier wünscht: "ich bitte alle beteiligten, zärtlich im umgang mit diesem stück zu sein." Zärtlichkeit, das ist ein Begriff, mit dem man hier etwas anfangen kann. Weil zärtlich hier wirklich alle sind: die beiden Herren, die ihre Liebe nicht gefährden wollen und dabei so vorsichtig miteinander umgehen, dass sie beinahe gar nichts machen. Die Mutter des Mittelfeldspielers, die ihre Sympathie für die Bekanntschaft ihres Sohnes in Herzlichkeit transformiert, der Spielerkollege Sergio Ramos, für den Homosexualität im Spitzensport kaum nenneswert ist: "jungs, jetzt habt euch mal nicht so! (…) zwinkert also jungs, meinen segen habt ihr! wirklich, fantastisch! ich habe schon zu meiner frau gesagt, also, wenn die kinder bekommen, die werden besser als cristiano ronaldo." Nett.

Gleich die ersten Sätze des Stücks geben diesen Humor der Zärtlichkeit vor. Die beiden Protagonisten treffen einander im Wald: "hallo / ich habe sie gar nicht kommen hören / ich bin ja auch sehr leise gekommen / wie schön, die meisten leute gehen laut / das stimmt". Kein Wort ist hier zuviel, das aber ist zutiefst freundlich. Und lustig.
 

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