Zaster statt Liebe

Von Verena Großkreutz

Heidelberg, 29. April 2022.Aus Liebe heiraten? Pffff. Für Feli von Beinahe-Enden kommt Ehe nur als "Geschäftsbeziehung" in Frage. Denn ihr ganzes Denken und Fühlen ist − forciert auch durch ihre immense Verschuldung − ausschließlich auf eines fixiert: aufs Geld. Dass sie auf den schnöseligen Heinrich Horvath Maria Knut zu Albert von Brundel-Bründlingen trifft – Glück für sie. Von seinem vermutlich vermögenden Vater zur Ehe gedrängt, rächt sich der Heiratsunwillige an seinem Erzeuger, in dem er sich mit einer Mittellosen, einer Armen, eben mit Feli vermählt. Ohne Verpflichtungen darf die Gute nun auf eine dicke Erbschaft hoffen − sollte der Alte über den Jordan gehen.

Felicia Zeller hat in ihrer skurrilen Komödie "Der Geldkomplex" den gleichnamigen Briefroman von Franziska Gräfin zu Reventlow verarbeitet. Die verschuldete, dichtende Münchner Bohemienne hatte ihr Werk 1916 ironisch ihren "Gläubigern" gewidmet.

Der Geldkomple Wilhelm Schlotterer Marlene Goksch kleinLiebe als Geschäftsbeziehung: Wilhelm Schlotterer, Katharina Behrens und Marlene Goksch in "Der Geldkomplex". © Oliver Berg

Zellers Komödie erlebte ihre Uraufführung im vergangenen September am Theater Münster − von Max Claessen flott und pointiert-witzig in Szene gesetzt. Und auch beim Stückemarkt konnte das Stück – dank des aufgedreht-spielwütigen Ensembles − beim Publikum jetzt zünden.

Auf der Flucht vor ihren Gläubigern und auf Anraten ihres Psychotherapeuten landet Feli von Beinahe-Enden (Katharina Behrens) in einer psychiatrischen Privatklinik ("Der Zauberberg" und "Die Physiker" lassen grüßen). Die Bühne: Zunächst eine weiße Traumsymbollandschaft mit Baumskelett, einer Treppe, einem Kleiderhaufen, einer Adam-Smith-Statue (aha: dem mit der modernen Ökonomie), einem Turm aus lauter Bildschirmen, in denen sich die Gesichter der Protagonist*innen verfratzen und mit denen noch weiterer visueller (echt lustiger) Schabernack getrieben wird. Das ganze Bühnenmobiliar ist zunächst noch in Plastikplanen gehüllt und wird dann Stück für Stück entblättert. Als lege sich hier das Innere der Protagonistin frei.

Dort, an diesem merkwürdig irrealen Ort, trifft Feli auf ähnlich monetär psychotisierte Personen: etwa eine junge Witwe, die in wahnhaftem Wiederholungskreisel, dramatisch deklamierend, ihren Mann verteidigt, der sich umgebracht hat. Nein, kein "unverbesserlicher Baulöwe" sei er gewesen, "Tag und Nacht" habe er gearbeitet und so weiter. Es ist eine dieser so wunderbar grotesken Szenen an diesem Abend, wenn Marlene Goksch brummend, wutschnaubend über die Bühne stakst, besagten Kleiderberg erklimmt und darin versinkend verschwindet.

"Ne große Sache mit seriöser Luft"

Die Personage ist auch sonst äußerst verhaltensauffällig: etwa Felis Angetrauter Heinrich und so weiter (Christoph Rinke), blondgelockt, in knalligem 50er-Jahre-Outfit, der seinen Vatermord so ganz nebenbei begeht. Oder der rappende, junge Gottfried (Daniel Warland), dem das Disziplin-Meditations-Kunststück gelingt, 20 Minuten bewegungslos, eingefroren an der Rampe auszuharren (der Arme!). Oder die Sanatoriumsleiterin Professor Dr. Knust (Ulrike Knobloch), die am bedrohlichsten wirkt, wenn sie tatsächlich "behandeln" will. Auch nicht schlecht: Felis Psychodoktor Flachmeier (Jonas Riemer), der ein bisschen an Groucho Marx erinnert und – immer leicht übergriffig – in ballettösen Bewegungen über die Bühne stelzt. Oder Felis Kumpel Henry (Joachim Foerster), der ständig Financiers für seine diversen Startup-Ideen sucht – "Ne große Sache mit seriöser Luft" (meint: "Frische Luft" in Tüten) oder den "Kobalt-Coup" in Australien – aber nichts davon umsetzt.

Der Geldkomplex Katharina Behrens Wilhelm Schlotterer Christan Bo Salle Marlene Goksch Joachim Foerster kleinMeister*innen der Auslassung: Die Personnage in "Der Geldkomplex". © Oliver Berg

Alle reden sich um Kopf und Kragen, pflegen einen atemlos-nervösen Quasselstrippensound aus unfertigen Sätzen, Wiederholungsschleifen, Andeutungen: "Das muss man sich mal." "Könnten Sie mir vielleicht?" "Wie konnte es soweit."

Am Ende switcht das Ganze wieder in eine Traumwelt. Alles weiß, die Kleidung, der Raum. Die ganze Mischpoke glotzt jetzt von der Videoleinwand ins Publikum, gefällt sich in seinem merkwürdigen Jargon der Auslassung. Und verschwindet durch eine weiße Magritte-Tür in die Idylle einer Raps-und-Korn-Landschaft. Wie romantisch! Derweil sich das Ensemble vom Zuschauerraum her selbst zuguckt. Cool!

Das ist alles sehr unterhaltsam und wird vom Ensemble virtuos umgesetzt. Aber man fragt sich am Ende halt: Warum? Warum sind die alle so? Und kriegt keine Antwort.

 

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Der Geldkomplex
von Felicia Zeller
Uraufführung
Regie: Max Claessen, Bühne und Kostüme: Ilka Meier, Video: Andreas Klein, Musik: Carl Waeber, Dramaturgie: Barbara Bily, Cornelia von Schwerin.
Mit: Katharina Behrens, Frank-Peter Dettmann, Joachim Foerster, Marlene Goksch, Ulrike Knobloch, Christoph Rinke, Jonas Riemer (der kurzfristig für den erkrankten Christian Bo Salle einsprang), Wilhelm Schlotterer, Daniel Warland 
Premiere: 15. September 2021  
Dauer: 1 Stunde 50 Minuten, keine Pause 

www.theater-muenster.com

 

 

 

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