Pepper kann nichts

Von Falk Schreiber

Heidelberg, 7. Mai 2022. Pepper ist sowas wie ein Star. Die Maschine ist medial überaus präsent, so dass sie mittlerweile als "der" Pflegeroboter überhaupt gilt, ein gespensterähnliches Wesen in Kindergröße, das auf Rollen durch den Wohnbereich eines pflegebedürftigen Menschen gleitet. Und praktisch nichts kann. Das Bett machen? Kann Pepper nicht. Medikamente verabreichen? Auch nicht. Nicht einmal einen vernünftigen Handshake bekommt das Ding hin, und wenn man sich vor Augen führt, dass dieses Gerät der momentane Gipfel der Pflegerobotik-Entwicklung ist, dann beantwortet sich die Frage des Dokumentartheaterstücks "Who Cares?" von selbst. Pepper jedenfalls wird noch einige Zeit niemanden pflegen.

Gesine Schmidt hat Interviews geführt mit Pfleger:innen, Ingenieur:innen, Pflegebedürftigen, Martín Valdés-Stauber hat aus diesen Gesprächen eine Stückfassung destilliert, und Christoph Frick hat diesen Text inszeniert. Mit Ensemblemitgliedern der Münchner Kammerspiele, nicht mit den ursprünglichen Gesprächspartner:innen. Das macht "Who Cares – Können Roboter pflegen?" zu einem eigenartigen Zwitter zwischen einer dokumentarischen Form und Schauspielertheater, das auf die Elite der deutschsprachigen Bühnenkunst zurückgreifen kann, und letztlich befreien aus dieser Unentschiedenheit kann sich das Stück, das als Gastspiel beim Heidelberger Stückemarkt zu sehen ist, nicht. Es ist nicht so, dass das Gezeigte nicht ästhetisch lohnen würde, man versteht nur nicht, weswegen Frick seinen Authentizitätsanspruch nicht einlöst.

Verwischte Grenzen

Die Inszenierung derweil stellt konsequent Verbindungen zwischen der Bühnenrealität und der Pflegewirtschaft her. Schauspieler Erwin Aljukić lebt mit der Glasknochenkrankheit, er agiert auf der Bühne mit Rollstuhl und Krücken, was das Thema des Abends im Schauspielerkörper spiegelt. Johanna Eiworth performt den Wirtschaftsoptimismus einer Medizinmanagerin mit überschlagender Stimme. Und Martin Weigel imitiert das Händezittern eines Parkinsonpatienten täuschend echt. Anders gesagt: Die Inszenierung verwischt konsequent Grenzen, und wirklich wohl ist einem bei dieser Verwischung nicht.

Dabei stellen Schmidt und Frick schon die richtigen Fragen. Bis 2030 werden geschätzt 500 000 Stellen in der Pflege nicht besetzt werden können, ein Fachkräftemangel, der sich auch nicht mit besseren Arbeitsbedingungen auffangen lässt. Wie will man also eine menschenwürdige Pflege sicherstellen? Indem man einfache Tätigkeiten durch Roboter erledigen lässt? Die tendenzielle Unfähigkeit von Pepper ist da eher ernüchternd.

WHOCARES2 SimonHegenbergHilflose Masche, hilflose Menschen? Pflegeroboter Pepper mit Johanna Eiworth, Martin Weigel und Erwin Aljukić © Simon Hegenberg

Eine andere Frage ist allerdings gerade fürs Theater spannend: Wie schafft man es, dass sich Menschen überhaupt von Robotern pflegen lassen? Sollte man eine Beziehung zur Pflegemaschine aufbauen oder eben nicht? Die Konstrukteur*innen von Pepper haben sich für eine humanoide Anmutung entschieden, aber ob das der Weisheit letzter Schluss ist, ist noch nicht ausgemacht. Und: Wie kommuniziert man eigentlich mit der Maschine? Über eine Cloud-Lösung? Und was heißt das für den Datenschutz? In medizinischen Fragen? Alles sehr knifflig.

Ureigenes Theaterthema

Christian Löber bringt diese Fragen mit einer Solonummer zum Stückende auf den Punkt. Zunächst spielt er eine Zuschauerin direkt an, dann heuchelt er Interesse an ihrer Person (und thematisiert dieses Heucheln nicht uncharmant), und schließlich überredet er sie zu einem gemeinsamen Selfie. Beziehungen aufbauen: ein Spiel mit Manipulation, ein Spiel, das jede Schauspielerin, jeder Comedian aus dem Effeff beherrschen muss.

Und da versteht man plötzlich, weswegen Frick sein Dokumentartheater mit Profischauspieler:innen inszeniert. Weil die Themen, die "Who Cares" verhandelt, eigentlich ureigene Themen des professionellen Theaters sind.

  

Who Cares – Können Roboter pflegen? 
von Gesine Schmidt in einer Fassung von Martín Valdés-Stauber 
Regie: Christoph Frick, Bühne und Kostüme: Clarissa Herbst, Musik: Florian Kreier, Christoph Beck, Licht: Charlotte Marr, Video: Luis August Krawen, Dramaturgie: Rania Mleihi, Martín Valdés-Stauber 
Mit: Erwin Aljukić, Johanna Eiworth, Christian Löber, Nancy Mensah-Offei, Martin Weigel 
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.muenchner-kammerspiele.de
 
 

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