Versuche einer Sprache der Liebe

Von Falk Schreiber

Heidelberg, 30. April 2022. Einer verliebt sich. Eine Zukunft sieht er in dieser Liebe nicht, also behält er sein Begehren für sich. Und damit niemand Verdacht schöpft, entwickelt er Strategien, seinen Zustand zu erklären, behauptet, in eine andere verliebt zu sein, spielt den Schwerenöter, doch bevor sich alles aufklärt, zieht eine Pandemie durchs Land und tötet die Angebetete. Chance vertan.


Das Schauspielhaus Bochum spielt die Ende des 13. Jahrhunderts entstandene Minnedichtung "Vita nova", laut Programmheft "frei nach Dante Aligheri", aber im Grunde wird der Stoff weniger frei als vorlagengetreu nacherzählt. Die gesamte Inszenierung konnte nicht eins zu eins aus dem Ruhrgebiet zum Heidelberger Stückemarkt transferiert werden, weswegen Regisseur Christopher Rüping eine eigene Fassung für das Gastspiel entwickelt hat, eine "Unplugged"-Version. Wobei der der Popmusik entlehnte "Unplugged"-Begriff hier eher nichtssagend ist (vor allem sind es Bühnenelemente, die aus technischen Gründen nicht verwendet werden können), aber einen Hinweis darauf gibt, wie wichtig Rüping das genaue Lesen der Vorlage nimmt: Hier wird etwas anders erzählt als zunächst geplant, also muss das deutlich gemacht werden.

Presse Das neue Leben c Jirg BrAggemann Ostkreuz 11 klein"Baby one more time" – Anne Drexler, Anne Rietmeijer und William Cooper (v.l.) in "Das neue Leben". © Jörg Brüggemann/Ostkreuz

Das Erzählen ist wichtig für "Das neue Leben". "Es gibt die Geschichte nur so, wie du sie erzählst", das ist ein zentraler Satz des Abends, und er verweist darauf, dass es nicht um eine reale Liebe geht, sondern um eine Liebe, wie sie ein mittelalterlicher Dichter beschrieben hat. Das macht die Inszenierung zum Literaturtheaterstoff, wenn auch nicht unbedingt zu einem Thema bei einem Festival für neue Dramatik. Tatsächlich ist der Dramenbegriff hier sehr weit gefasst – nachspielbar ist "Das neue Leben", da performativ an den Moment der jeweiligen Aufführung gebunden, zum Beispiel nicht, und neu ist hier auch nichts. Einer verliebt sich. Kein Drama.

Neu ist allerdings, wie Rüping dieses alte Thema mit Roland Barthes liest. Der hatte in seinem 1977 erschienenen Buch "Fragmente einer Sprache der Liebe" festgestellt, dass die Liebe zwar eine existenzielle Kraft, das Sprechen über die Liebe aber kontaminiert ist durch Floskeln, durch Sexismen, durch Unaufrichtigkeiten. Weswegen die Darsteller:innen über weite Strecken des Abends erst einmal das Sprechen neu lernen, tastend, scheiternd, wieder tastend. Trial and Error.

Es ist ein Vergnügen, ihnen bei diesen Versuchen zuzusehen, Damian Rebgetz, wie er expressiv in sein Sujet zu finden versucht und schließlich Dante als Tanz mit den Händen performt. Anna Drexler, wie sie während eines langen Monologs merkt, dass ihr die Sprache versagt und wie sie sich darauf in einen Popsong flüchtet, Britney Spears’ "Baby one more time". William Cooper, wie er Authentizität einfordert und dabei entsetzlich auf die Nase fällt. "Fucking hell!", gerät Rebgetz in Rage. "Ich will nicht, dass es echt wird! Ich will, dass es vollkommen bleibt!"

Schläfst du heut bei mir?

Nach zwei Stunden ist also die Liebe gestorben, der Tod schiebt sich mit Nebel, Wind und schleifenden Sounds in die Inszenierung, und ein orgiastischer Totentanz bricht los. Mit Geisterwesen, mit einem Ausspielen von allem, was Peter Baurs Bühne kann, mit einem Techniktheater, das an Alexander Giesches Visual Poems erinnert. Und dann, nachdem einen die Krankheit und der Tod überrollt haben, gibt es ein langes Nachspiel, eine Séance, in der sich die Liebenden im Totenreich begegnen dürfen.

Presse Das neue Leben c Jirg BrAggemann Ostkreuz 24 KleinUnd plötzlich steht die Geliebte im Raum – Viviane De Luynck (Mitte) in "Das neue Leben". © Jörg Brüggemann/Ostkreuz

Erstmals tritt die Geliebte aus der Erzählung heraus und auf die Bühne, gespielt wird sie von Viviane De Muynck mit der ihr eigenen Illusionslosigkeit. Bringt sie eine Hoffnung mit? Kaum: "Es gibt die Geschichte nur so, wie du sie erzählst", für gelebte Liebe ist da wenig Platz. Aber den Rat, sich auf das Einfache zu konzentrieren, den hat sie immerhin. Zum Schlussbild stehen alle an der Rampe, das mechanische Klavier klimpert, und sie singen Danger Dans "Eine gute Nachricht": "Und was ich fragen will, ist: Schläfst du heut bei mir?" Viel klüger lässt sich über die Liebe wohl nicht sprechen.

 

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Das neue Leben. where do we go from here. unplugged.
frei nach Dante Aligheri
Regie: Christopher Rüping, Bühne: Peter Baur, Kostüme: Lene Schwind, Musik: Jonas Holle, Klavierarrangements: Paul Hankinson, Lichtdesign: Bernd Felder, Dramaturgie: Vasco Boenisch Mit: William Cooper, Viviane De Muynck, Anna Drexler, Damian Rebgetz, Anne Rietmeijer
Dauer: 2 Stunden 10 Minuten, keine Pause
Premiere: 10. September 2021

www.schauspielhausbochum.de

 

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