Ein fucking Horrorfilm

Von Falk Schreiber

Heidelberg, 29. April 2022. Hildie weiß, wie der Hase läuft. "Wir kommen uns vor wie in einem fucking Horrorfilm!", ruft die Internatsschülerin panisch, als imaginäre Monster sich zu echten Bedrohungen manifestieren. Aber Mitschülerin Magda überspannt den Bogen: "Und noch dazu in einem schlechten!"

Nein, schlecht ist Svenja Viola Bungartens "Maria Magda" nicht, das Gewinnerstück des Heidelberger Stückemarktes 2021, das vorigen Sommer von Theresa Thomasberger am Theater Münster online uraufgeführt wurde und jetzt, zur Festivaleröffnung 2022, in der Regie von Brit Bartkowiak seine Premiere vor Publikum im Heidelberger Zwinger erlebt. Horror ist der Abend allerdings durchaus, blutiger, beängstigender Gothic Horror. Fucking ebenso, im Sinne eines Mindfuck, der Assoziation auf Assoziation schichtet, nur um das Gedankengebilde dann gleich wieder umzuschmeißen. Aber dabei so kunst- wie lustvoll gebaut.

Maria Magda HP2 Online SR 47 kleinHorrorstory mit Freude an der Übertreibung: Sandra Schreiber (Hildie) und Yana Robin La Baume (Magda) in "Maria Magda" © Susanne Reichardt

Die Grundsituation ist dabei wie aus dem Lehrbuch für schlichte Nervenzerrer geklaut: Maria (Esra Schreier als Goth-Girl im Emily-Strange-Look) ist neu im katholischen Internat für Schwererziehbare, irgendwo im waldigen Nirgendwo. Ihre Zimmernachbarinnen Magda (Yana Robin la Baume als Aggrostresserin) und Hildie (Sandra Schreiber mit unterdrückter Bedrohlichkeit) verraten ihr sogleich düstere Geheimnisse: Marias Vorgängerin Miriam sei spurlos verschwunden, und um das Internat ranken sich Gerüchte. Angeblich habe Heinrich Kramer, ein Dominikanermönch, der im 15. Jahrhundert in Deutschland lebte und als Ko-Autor des Buches "Hexenhammer" maßgeblich an der Hexenverfolgung der frühen Neuzeit beteiligt war, hier einen fatalen Pakt mit Gott geschlossen, der eine theologische Legitimation der Hexenverfolgung im Gegenzug für eine schlafende Jungfrau beinhaltet. Eine schlafende Jungfrau, die sich von Gott vergewaltigen lassen und im Anschluss den Heiland gebären soll. Nun also darf sich die von rätselhaften Schlafattacken heimgesuchte Maria mal überlegen, wer für diese Rolle vorgesehen ist.

Ein blasser Gott

Bartkowiak inszeniert diese Horrorstory nach einem kurzen, eher prosaisch angelegten Einstieg mit Freude an Übertreibung, spritzenden Blutfontänen und drastischen Schockmomenten. Hella Prokophs Bühne mag zwischendurch sakrale Ikonographien und Triptychen zitieren, tatsächlich geht es aber meist darum, dunkle Schatten im Gegenlicht mit Beilen hantieren zu lassen. Natürlich ist "Maria Magda" Pulp (beziehungsweise eben ein "fucking Horrorfilm"), aber es ist Pulp, der immer wieder an die Abgründe des sogenannten Abendlandes führt. "Die Geschichte der unbefleckten Empfängnis ist eine Geschichte der Gewalt", weiß die als Erzählerin durch die ziemlich schnell im Blutsumpf versinkende Handlung führende Madonna Ha (Sandra Bezler), und das ist dann schon ein ziemlich subversiver Move, der die bis dahin fröhlich übernommene "gute Geschichte" von der Jungfrauengeburt klug dekonstruiert.

Maria Magda HP2 Online SR 28 kleinTrashige Religionskritik: Brit Bartkowiak zitiert in "Maria Magda" ikonographische Bilder. © Susanne Reichardt

Im letzten Drittel wird Madonna Ha dann zur Regisseurin, die die Handlung immer wieder anhält und auf null setzt – die Spannung, die "Maria Magda" durchaus prägt, wird dadurch ausgebremst. Trotzdem unterhält auch das Finale noch prächtig, mit überraschenden Wendungen (Maria und Magda tauschen die Rollen, zudem kommt Magda mangels Jungfräulichkeit nicht mehr für die "unbefleckte Vergewaltigung" infrage) und einer raffiniert choreografierten Prügelorgie zwischen Maria und Gott (dass Leon Maria Spiegelberg in dieser Rolle blass bleiben muss, ist natürlich auch ein politisches Statement).

"Maria Magda" ist also Horror, Splatter und Religionskritik in einem (und für die, die Religion ohnehin nicht für relevant halten, gibt es kluge Erklärungen dafür, wie die beschriebenen Phänomene direkt in Unterdrückung und Patriarchat münden). Was Bartkowiaks Inszenierung nicht ist, ist der Camp, der auch noch in Bungartens Vorlage steckt – aber als unterhaltsamer, beängstigender, intelligenter Mindfuck geht die Inszenierung trotzdem locker durch.

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Maria Magda 
von Svenja Viola Bungarten 
Regie: Brit Bartkowiak, Bühne: Hella Prokoph, Kostüme: Naomi Kean, Isabell Wibbeke, Dramaturgie: Michael Letmathe 
Mit: Sandra Bezler, Yana Robin la Baume, Christina Rubruck, Sandra Schreiber, Esra Schreier, Leon Maria Spiegelberg, Live-Musik: Jeremy Heiß 
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause 

www.theaterheidelberg.de

 

Hier Stückporträt und Video zu Svenja Viola Bungartens Stück MARIA MAGDA beim Heidelberger Stückemarkt 2021.

 

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