Chirurg:innen des Wortes  

Franziska Muche im Gespräch mit Dorte Lena Eilers

Franziska Muche, Sie sind Theaterübersetzerin und haben für den Heidelberger Stückemarkt eines der Gastland-Stücke übersetzt: Ich will die Menschen ausroden von der Erde von María Velasco. Übersetzer:innen agieren ja meist eher im Hintergrund. Im vergangenen Jahr jedoch brach plötzlich eine wilde Diskussion über die Übersetzung des Gedichts „The Hill We Climb“ von Amanda Gorman los. Auch dem spanischen Übersetzer Victor Obiols wurde der Auftrag wieder entzogen, weil er nicht dem Identitätsprofil der Autorin entsprach. Wie haben Sie die Debatte wahrgenommen?

Ich finde, das ist ein extrem schwieriges Thema, bei dem es keine einfachen Antworten gibt. Bei der Übersetzung geht es ja vorrangig um die Vermittlung und nicht um Verkörperung von Ideen. Trotzdem muss ich natürlich die Stimme des zu übersetzendes Textes möglichst gut verstehen, um sie dann mit allen Nuancen und Untertönen wiederzugeben. Dabei halte ich es persönlich für sehr wichtig, nicht ein Abbild der Autorin oder des Autors zu sein, sondern ganz viel mit den Autor:innen zu reden. Doch bereits da scheiden sich die Geister. Ich möchte den Klang ihrer Stimme hören, ich möchte wissen, wer hinter dem Text steht – gerade damit ich die Freiheit habe, etwas neu erschaffen zu können. Es gibt auch andere Meinungen, hochrenommierte Kolleg:innen, die sagen, der Text wisse mehr als der:die Autor:in. Ich glaube aber nicht, dass das eine das andere ausschließt. 

Insofern würde ich nicht sagen, dass man ein Abbild von Amanda Gorman sein muss, um ihre Texte übersetzen zu können, sondern vielmehr ein offener, denkender, flexibler und einfühlsamer Mensch mit sehr viel Erfahrung, was das Leben und die Sprache angeht, mit dem Willen zu lernen und ständig neugierig zu bleiben. Aber ich finde die Debatte gut, auch weil sie den Fokus auf ein weiteres Thema richtet. Lange war es so, dass viele renommierte Übersetzer, obwohl es sehr viel mehr Frauen gibt in diesem Bereich, ältere weiße Männer waren.

Es geht also auch um Zugänge und berufliche Chancen.

Genau. Lange wurden renommierte Texte automatisch an jene Übersetzer vergeben, die bereits in privilegierten Positionen saßen. Diesen Automatismus zu hinterfragen, dafür lohnt sich eine solche Diskussion. 

Sie sagten, Sie arbeiten bei der Übersetzung sehr eng mit den Autor:innen zusammen. Wie läuft ein solcher Übersetzungsprozess ab? Beispielsweise bei María Velascos Stück, das im Rahmen des Gastland-Programms beim Internationalen Autor:inenwettbewerb am 7. Mai beim präsentiert wird.

María Velasco ist für mich tatsächlich ein Sonderfall, weil ich sie seit über zehn Jahren kenne, bisher aber immer nur Stücke teilübersetzt habe. Es ist das erste Mal, dass ich sogar zwei komplette Stücke von ihr ins Deutsche übersetze. Das zweite, "Die Einsamkeit der Hundesitter", erscheint im Herbst in dem von Carola Heinrich und mir herausgegebenen Stückband "Schattenschwimmer. Neue Theatertexte aus Spanien". Ich bin sehr glücklich darüber, weil sie für mich eine der besten, intelligentesten spanischen Theaterautor:innen ist. Sie gehört einer Generation an, der ich mich am meisten verbunden fühle, der sogenannten generación emergente, übersetzt in etwa: die aufstrebende Generation. 

Was zeichnet diese Generation aus?   

Es sind vorrangig jene, die nach der Transición, also nach 1975 geboren und in der Demokratie aufgewachsen sind. Sie hatten Lehrer, zu denen zum Beispiel Juan Mayorga gehört, der ebenfalls in unserer Anthologie vertreten ist. Auch José Sanchis Sinisterra gehört dazu – Autoren, die in Deutschland gar nicht so bekannt geworden, in Spanien aber berühmt sind. Ihre Schüler:innen bilden die generación emergente, eine große Welle starker Stimmen, darunter María Velasco sowie José Manuel Mora …

… gemeinsam mit Carlota Ferrer der diesjährige Kurator des Gastlandes Spanien.

Genau. Insofern gibt es, um die Frage nach dem Vorgang des Übersetzens zu beantworten, zwischen María und mir eine lange Vorgeschichte. In der Regel aber lese ich Stücke, bevor ich sie übersetze, nicht. 

Nicht?

Nein. Ich entdecke sie übersetzend. Ich kann sie besser als Ganzes begreifen, wenn ich mich in ihren Fluss, ihre Geschichte auf diese Art hineinbegebe. Ich stehe dann nicht oben drüber, sondern befinde mich mitten drin. Natürlich überarbeite ich die Rohübersetzung hinterher extrem. Auch gibt es Dinge, die man erst vom Ende her versteht. Zum Beispiel kam in Maria Velascos Stück der Begriff aborto vor. Das könnte eine Abtreibung sein oder ein Abgang. Aus dem Kontext der ersten Szene war mir ganz klar: Es handelt sich um eine Abtreibung. Erst am Ende des Stücks verstand ich, dass Abgang gemeint ist. 

Nach der ersten Überarbeitung habe ich in der Regel viele, viele Fußnoten, je nach Komplexität des Stücks sind es bis zu 200 – Passagen, wo ich noch Zweifel habe oder Fragen an den:die Autor:in, mit dem:der ich mich dann ins Gespräch begebe. Dabei geht es oft um Doppeldeutigkeiten und Geläufigkeit von Begriffen. Ebenso tausche ich mich mit meiner Tandempartnerin Pilar Sánchez Molina aus, mit der ich auch zusammenarbeite, wenn ich Stücke aus dem Deutschen ins Spanische übersetze. Sowie im Fall der Anthologie auch und vor allem mit den beteiligten Übersetzerinnen Carola Heinrich, Miriam Denger, Hedda Kage, Stefanie Gerhold, Lea Saland  u.a. 

Hinzu kommt, dass wir für das Theater übersetzen, das heißt, der Text muss beim ersten Hören verstanden werden. Im Grunde ist es so: Wenn der Übersetzer oder die Übersetzerin seine:ihre Arbeit gut macht, verschwindet er oder sie hinter dem Text.

Mit dem Ergebnis, dass die Arbeit in der Öffentlichkeit und aber auch im Theaterbetrieb eigentlich regelrecht missachtet wird.

Ich weiß nicht, ob es Missachtung ist. Ich würde sagen, es wird als eine Selbstverständlichkeit gesehen. Einerseits wollen wir ja, dass wir hinter dem Text verschwinden. Die Übersetzung soll natürlich so gut sein, dass sie als solche nicht erkennbar ist. Andererseits ist es trotzdem eine künstlerische Leistung, sollte also sichtbar sein. Manche Theater machen das ganz selbstverständlich: Ich habe zum Beispiel Stücke von Paco Bezerra übersetzt, die beim Gustav Kiepenheuer Bühnenvertrieb verlegt werden und am Theater Göttingen aufgeführt wurden. Da stand immer sein Name, mein Name, gleich groß. 
Insgesamt gibt es aber ein Folgeproblem: Es schlägt sich finanziell nieder. In allen Bereichen sind Übersetzungen chronisch unterbezahlt. Deswegen sind wir dem DÜF, dem Deutschen Übersetzerfonds, sehr dankbar, dass er uns immer so gut unterstützt – aber eigentlich sollte es ja nicht sein, dass man in einem anerkannten Beruf Stipendien zum Überleben braucht. 

Sie sind Mitglied des Vereins Drama Panorama, der Theaterübersetzer:innen mit Kolleg:innen aus dem Theaterbetrieb vernetzt. Inwieweit helfen solche Netzwerke der Arbeit?

Einerseits ermöglicht der Verein Teamarbeit. Es hilft ungemein, wenn man jemanden das Stück einmal schicken kann – quasi als Blick von außen –, um Übersetzungsfragen und Nuancen zu diskutieren. Andererseits können wir so größere Projekte umsetzen, wie die Anthologiereihe Drama Panorama – Neue internationale Theatertexte im Neofelis Verlag, oder Veranstaltungsreihen organisieren, die den Akt des Übersetzens und die Übersetzer:innen in den Mittelpunkt stellen, wie derzeit panorama#2 übertheaterübersetzen.

Gibt es Grenzen der Übersetzung? 

In manchen Fällen kann man nicht alle Ebenen transportieren. Wortspiele zum Beispiel, vor allem jene, die mit Klang spielen. Oder nehmen wir die ersten Sätze aus María Velascos „Die Einsamkeit der Hundesitter“. Da heißt es: "Desde la ventana, pienso en la inconsolable soledad del paseador de perros." Immer o, a, e. Insconsolable heißt eigentlich "untröstlich". Aber wir haben daraus "verzweifelt" gemacht, "die verzweifelte Einsamkeit der Hundesitter". Dann geht es weiter: "Pienso en la masturbatoria soledad del paseador de perros" – eigentlich die Masturbation. Aber das passt klanglich nicht. Also haben wir gesagt: "die sich streichelnde Einsamkeit der Hundesitter". Masturbation ist natürlich deftiger, aber ich brauchte dieses "ei", habe also den Klang in diesem Fall über alles gestellt. Solche Entscheidungen müssen wir als Übersetzer:innen treffen. Ich überlege immer, was der:die Autor:in gewählt haben würde, wenn er:sie in Deutsch schriebe. 

Eine extrem diffizile Arbeit.

Ja, jemand sagte mal: Wir Übersetzer:innen seien Chirurg:innen des Wortes.

Zudem eine Arbeit, von der man zumindest derzeit noch nicht annimmt, dass sie von einer Künstlichen Intelligenz ausgeführt werden könnte. Sind Übersetzungsprogramme dennoch eine Konkurrenz? 

Momentan mache ich als Theaterübersetzerin mir darüber noch keine Sorgen – das ist in anderen Bereichen sicher anders. 

 

Franziska Muche lebt als freie Übersetzerin für Theater in Berlin. Sie ist Diplomkulturwirtin mit Schwerpunkt Spanien/Lateinamerika (Universität Passau), Licenciada in Übersetzung und Dolmetschen (Universidad de Granada) und ausgebildete Schauspielerin (Michael Tschechow Studio/ZAV). Seit 2008 übersetzt sie zeitgenössische Theatertexte aus dem Spanischen und, in Zusammenarbeit mit Pilar Sánchez Molina, auch aus dem Deutschen ins Spanische. 2020 wurde sie mit einem Exzellenzstipendium des Deutschen Übersetzerfonds ausgezeichnet und 2022 mit einer Übersetzungsresidenz im Goethe-Institut Madrid. Gemeinsam mit Carola Heinrich ist sie Herausgeberin der Anthologien "Mauern fliegen in die Luft. Theatertexte aus Argentinien, Chile, Kolumbien, Kuba, Mexiko, Spanien und Uruguay" (Neofelis Verlag, 2021) und "Schattenschwimmer. Neue Theatertexte aus Spanien" (Neofelis Verlag, Herbst 2022). Für den Heidelberger Stückemarkt übersetzte sie auch das Gastspiel "Preguntando al Universo" von Jose Manuel Mora - sein zum Stückemarkt des Berliner Theatertreffens eingeladenes Stück "Meine Seele anderswo" war 2008 ihre erste Theaterübersetzung.

 

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