Das Geplustere der Männer

von Dorte Lena Eilers

Heidelberg, 8. Mai 2022. Ach, ließe sich die Eifersucht doch so einfach bekämpfen wie dieses giftgrüne Etwas da, welches sich, größer und größer werdend, in Akt IV unverschämterweise auf der Bühne breit gemacht hat. Von hinten hatte es sich durch die hautfarbenen Gaze-Vorhänge geschoben, nur um mit zunehmender Luftzufuhr unmögliche Ausmaße anzunehmen. 

Sowieso ist dieser "Othello" in der Inszenierung der spanischen Regisseurin Marta Pazos eine ziemlich aufgeblasene Angelegenheit – und dass vorrangig, weil er, wie so viele Dramen Shakespeares, ein echtes – Achtung! – Männerstück ist. Sehr viele sehr eifersüchtige Jungs versuchen sich da permanent mit stolzgeschwellter Brust gegenseitig vom goldenen Treppchen zu stoßen, welches, das nur am Rande, die Truppe aus sechs Armbanduhren von Cristiano Ronaldo zusammengeschweißt hat. Aber wie das so ist mit der Hackordnung und der obersten Stange: Nicht jeder ist ein Hahn, äh, Herr. Was dazu führt: Je schwächer der Charakter, desto gröber werden die Mittel. Lügen, Intrigen, gar Mordkomplotte sind hoch im Kurs – in "Othello" kombiniert mit offenem Rassismus.   

Othello Voadora Estrella Melero 10 Oh Eifersucht, Du grünäugiges Scheusal!! © Estrella Melero

Marta Pazos und ihr Ensemble sind zum Abschluss des Heidelberger Stückemarktes angetreten, diesem ganzen testosteroninduzierten Gegockel die Luft rauszulassen. Ihr bevorzugtes Mittel: Die Persiflage. Zu zuckersüßen Klängen einer Revue-Musik schieben sich zu Beginn ein, zwei, drei, vier Balthasare auf die Bühne, die mit dramatisch schrillen Turbanen und schwarz-glitzerndem Stoff vorm Gesicht sogleich in fröhlichem Ton alle Rassismen in den Saal pfeffern, welche mit der kolonialistischen Darstellung des Dritten der Heiligen Drei Könige einhergehen. "Ach, wie nett sie sind, die Heiligen Drei Könige!"

Standpunkt der Frauen

Damit scheint, bis auf wenige Stellen, die Dekonstruktion des Rassismus-Themas erstmal abgehakt. Zumindest bleiben die Anwürfe, die sich Othello, der von dem Schwarzen Schauspieler Chumo Mata verkörpert wird, weitgehend unkommentiert, sie werden lediglich grotesk überzeichnet, verlacht oder verzerrt. Eine aus postkolonialer Perspektive nicht ganz konsequente Position. Wobei Marta Pazos mit dem von Fernando Epelde überschriebenen Original sowieso ganz anders verfährt. Sie will das Stück vom Standpunkt der Frauencharaktere her erzählen und so ist Desdemona, Othellos der Untreue bezichtigte Frau, nicht nur in den meisten Szenen auf der Bühne präsent, sie spricht auch weite Teile des Textes.

Seit der Szene, in der die beiden Intriganten Jago und Roderigo Desdemonas Vater Brabantio davon überzeugen wollten, dass Desdemona mit Othello über alle Berge ist, bewegen die männlichen Figuren ihre Lippen nur noch synchron zu den von Mari Paz Sayago als Desdemona eingesprochenen Dialogen. Der Effekt ist entlarvend: Die gesamte folgende Handlung, das Gerangel und Geplustere der Männer, erscheint einem wie ein einziges verzwergtes Marionettentheater. Will sagen: Wir Frauen lesen das Spiel schon längst und ganz ehrlich, es ist ein hoffnungsloses, hochnotpeinliches Trauerspiel. 

Othello Voadora Estrella Melero 6Rassismus und pathologische Männlichkeit: Chumo Mata und Ana Esmith © Estrella Melero

Zum Zweck dieser Interpretation hat Marta Pazos tief in die Kiste der Groteske gegriffen: Da sehen wir Brabantio, Rodrigo und einen Diener in der Sauna, wie sie sich linkisch vor dem jeweils anderen in Pose werfen, während das Fettgewebe haltlos über den Handtuchsaum schwappt. Wir erleben Männerrituale mit Boxen, Rangeln und Grölen und immer wieder Männer mit Knickerbockern und Statusproblem. Neben der Emanzipation Desdemonas setzen Pazos und Epelde diesen fehldeterminierten Maskulinitäts-Konstrukten ("Du wurdest zur Angst erzogen, Angst, zu verlieren") fluide Genderversionen entgegen.

Kein Wort sag' ich mehr!

Jago und Emilia sind gegengeschlechtlich besetzt, was den Machtdiskurs verallgemeinert, bei Emilia, die Diego Anido mit Kleidchen und Kicksstimme spielen muss, den Trans-Ansatz leider vertravestiert. Sowieso sind in dieser fröhlichen, derben, energiegeladenen, mit treibenden Beats, Szenenapplaus vom Band und kalauernden Sprüchen unterlegten Inszenierung manche Mittel auch recht grob, siehe die Eifersucht, dieses "grünäugige Scheusal" (Shakespeare), das als aufblasbarer Schwellkörper in Erscheinung tritt. Ist die Groteske wirklich böse genug, um pathologische Männlichkeit tatsächlich als Auslöser von Femiziden zu thematisieren? 

Am Ende jedenfalls ist auch diese Desdemona tot, nachdem sie neunzig Minuten lang den kompletten Text soufflieren musste. Wieder einmal ist es die Frau, die hier die ganze (Sprech)Arbeit leistet. "Kein Wort sag ich mehr. Sogar die Buchstaben nehme ich weg." Aus Othello wird thello und schließlich: hell. 

 

Othello 
nach William Shakespeare von Fernando Epelde
Übersetzung von Miriam Denger 
Regie und Bühne: Marta Pazos, Licht: Nuno Meira, Kostüme: Silvia Delagneau, Musik: Hugo Torres, Choreografie: María Cabeza de Vaca, Dramaturgie: Fernando Epelde, Marta Pazos, Produktionsleiter: Montse Triola, Künstlerische Produktion: Jose Díaz
Mit: Diego Anido, Pablo Chaves, Ana Esmith, Chumo Mata, Mari Paz Sayago, Hugo Torres 
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause 
Eine Produktion von Voadora in Koproduktion mit MIT Ribadavia, Teatro da La Abadía und Teatro Nacional São João

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