Als die Zeit stillstand

von Verena Goßkreutz

"Fragen ans Universum" zu stellen und daraus ein Theaterstück zu machen, darauf konnten  der spanische Autor José Manuel Mora und die Regisseurin und Performerin Carlota Ferrer (beide Kurator:innen des Gastlandprogramms) wohl nur in der Isolation des Corona-Lockdowns kommen − als die Zeit stillstand, und plötzlich Raum da war zum Nachdenken, zum Reflektieren. Offenbar ist der Titel des Stücks ("Preguntando al universo"), das jetzt als Gastspiel aus Madrid beim Stückemarkt zu sehen war, aber gar nicht so bierernst gemeint, wie er klingt − auch wenn in der Vorankündigung ironiefrei von Moras und Ferrers "unaufhörlicher Suche nach einem Moment der Schönheit im Chaos, welches das Universum beherrscht" geschwärmt wird oder von der "ästhetischen Darstellung des Mysteriums und des Geheimnisses des Lebens."

Pathos der Übertreibung

Formal eine Mischung aus Performance, Revue und Making-of, arbeitet sich "Fragen ans Universum" an einer viel zu großen Menge an Themen ab: Liebe, Sex, Tod, Klimakatastrophe, Sterben der Arten, Kunst, Theater in Corona-Zeiten, Familie, Beziehung, das Altwerden, Chaos und Schöpfung, Gottessuche, Apokalypse, Finanzierung von Kunst und noch vieles mehr. Da wird ein Märchen erzählt: Mädchen tötet Eltern und hat Sex mit einem Totengräbergehilfen. Immer präsent auf der Bühne: ein menschliches Gerippe, mit dem sich auch mal eine kesse Sohle aufs nicht vorhandene Parkett legen lässt. 

Zum Revuecharakter passt der Auftritt eines Country- Sängers (Antonio Montana), der im Western-Look den Elvis-Song "Unchained melody" lustig-überperfekt, mit dem Pathos der Übertreibung, zum Besten gibt. Um danach seine sorgfältig auf einer Schnur aufgereihte Damen-Slip-Sammlung zu präsentieren. Hat mit seiner ersten Liebe zu tun. Jede Liebesgeschichte, so sagt er, handele von Gespenstern.

Perguntando Prevee Draft innCarlota Ferrer © Prevee Draft inn

Ansonsten wuppt Carlota Ferrer den Abend so gut wie alleine. Und das meist auf exaltierte, ironische Art. In ihrer (Selbst-)Inszenierung fungiert ihr Partner Manuel Tejera auf der Bühne fast ausschließlich als ihr Assistent. Liturgie statt Handlung liefere der Abend, heißt es zu Beginn. Also hüpft Ferrer als „gefährdeter Meteorit“ in goldgefärbter Wattejacke durch die Gegend oder schwingt wild ihre goldglitzernde Mähne. Fordert als solcher jedenfalls "Aufmerksamkeit" und kritisiert die digitalen Gewohnheiten der Menschen, warnt vor dem "Gefängnis des Algorithmus". Singt, auf der Stelle laufend, Tina Turners "Simply the best", parliert – jetzt in anderer Rolle − vom Sex mit einem Ex-Beamten und dem Scheitern ihrer Ehe mit einer Frau. Und zeigt ihre "Traurigkeit" über die Umweltzerstörung, das Artensterben und so weiter. Letzteres wirkt manchmal schon ein bisschen larmoyant. 

Mitteilungsfreudig, wirr, unterhaltend

Das Bühnenbild ist ein pragmatisches Sammelsurium nacheinander eingesetzter Einzelteile ­– etwa ein ausgehobenes Grab, in dem auch die winzige Plastik-Mini-Tier-Ansammlung landet, die zuvor den Mittelpunkt der Bühne zierte, außerdem ein kahler Baumstängel, den Ferrer am Ende im Rahmen ihres exaltierten Derwischtanzes durch die Luft wirbeln lässt, zudem ein Monitor, über den Ferrer mehrmals Kontakt aufnimmt zum Autor des scheinbar noch unfertigen Stücks, zu Mora, der sich (auf der Realitätsebene des Abends) in ein Kloster zurückgezogen hat und nun mit ihr darüber diskutiert, wie das Stück zu beenden ist. 

Salatköpfe regnet es am Ende auch – wie zu Beginn per Videokonferenz vom sechsköpfigen Produktionsteam eingefordert −, und auch die gewünschte Explosion findet statt: umgesetzt als schönes Urknall-Nichts, mit viel Bühnennebel, rotem Licht und Richard Strauss’ "Also sprach Zarathustra". Ist eben ein bunter Abend, alles etwas wirr, durchaus unterhaltend, auf jeden Fall aber ungeheuer mitteilungsfreudig.

Zurück zur Übersicht

Fragen ans Universum / Preguntando al universo 
von José Manuel Mora
Spanisch mit deutschen Übertiteln (Übersetzung: Franziska Muche) 
Regie: Carlota Ferrer, künstlerische Mitarbeit: Antonio Montana, Licht: David Picazo, Bühnenbild: Miguel Delgado und Carlota Ferrer, Choreografie: Daniel Abreu und Ana Erdozain, Kostüme: Carlota Ferrer, Musikkompositionen: Tagore González, Sounddesign: Sandra Vicente, Produktionsleitung: Fernando Valero. 
Mit: Carlota Ferrer, Antonio Montana und Manuel Tejera.  
Uraufführung: 27.11.2020
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

Produktion: Prevee/Draft.inn in Koproduktion mit Madrid Cultura y Turismo, SAU

Kommentar schreiben

Sicherheitscode
Aktualisieren