Muskeln und Melancholie

Von Falk Schreiber

Heidelberg, 1. Mai 2022. Die beliebte ostdeutsche Schlagerkapelle Rammstein hat unlängst neue Musik veröffentlicht: wuchtige Maskulinitätshymnen, die begeistert Kampf, Körper und Testosteron feiern, die aber irgendwo tief versteckt erahnen lassen, dass man mit solchen Bezügen heute nicht mehr allzu weit kommt. Muskeln und Melancholie.

Florian Lange, Jonas Friedrich Leonhardi und Florian Mania stellen Figuren dar, die einem Rammstein-Video entsprungen sein könnten: Darsteller von Männlichkeitsimages (harter Cowboy, hipper Vater, angequeertes Sensibelchen) die irgendwie von gestern sind. Und das sind sie tatsächlich, in Christina Tscharyiskis Düsseldorfer Inszenierung von Sibylle Bergs "In den Gärten oder Lysistrata Teil 2", in der Kategorie Nachspielpreis zu Gast beim Heidelberger Stückemarkt. Weil die Männer nämlich in naher Zukunft angesichts der Sinnlosigkeit des eigenen Daseins ausgestorben sein werden. Lange, Leonhardi und Mania sind Exponate in einem interaktiven Museum, in dem frau sich anschaut, was einst für seltsame Geschlechterverhältnisse gepflegt wurden.

In den Garten 2Die "sinnstiftende heterosexuelle Paarbeziehung"? – Ist in Sibylle Bergs "In den Gärten oder Lysistrata Teil 2" in der Regie von Christina Tscharyiski längst Geschichte. © Melanin Zanin

Ein Frauentrio namens Lysistrata (Cennet Rüya Voß, Friederike Wagner und Hanna Werth) spaziert also durch die hier als "Gärten" bezeichneten Museumssäle und amüsiert sich über die Eigenarten der gottlob vergangenen Geschlechterbeziehungen. Im "Prä-Sexgarten" wird die Datingkultur beschrieben, im "Missionarsgarten" lustlos kopuliert, schließlich folgen "Kindergarten" und "Ehehölle". Was früher in "glücklichmachenden, sinnstiftenden, heterosexuellen Paarbeziehungen" eben ablief. So wahninnig viel mehr Erkenntnis bietet das Stück freilich nicht, aber Bergs Text hat Wortwitz, ist aggressiv und böse, sodass man über kurze 75 Minuten unterhalten ist. Zumal am Ende noch ein fieser Twist wartet: Der Titel nimmt Bezug auf Aristophanes’ 411 v. Chr. uraufgeführte Komödie "Lysistrata", in der Frauen aus Wut über die ständigen Kriege der Männer in Sexstreik treten und so tatsächlich Frieden stiften. Bei Berg hingegen verweigern die Männer die Paarung – nur bekommt das niemand wirklich mit. Worauf die Männlichkeit fix zum Bierchen ins Sanatorium abgeschoben wird und dann ganz schnell verschwindet.

Gags in Rampenrede

In Düsseldorf hat Dominique Wiesbauer eine aufwendige Pop-Bühne gebaut, die das Science-Fiction-Museumsambiente mit der leicht esoterischen Zukunftsbegeisterung heutiger Planetariumsästhetik kurzschließt, und Svenja Gassen hat das Lysistrata-Trio in stylishe Cyborg-Kleider gesteckt, während die Männer (die alle "Bernd" heißen, was ein eher schwachbrüstiger Witz in Bergs Vorlage ist) als verwitterte Statuen im Raum rumstehen. Darüber hinaus verlässt sich Regisseurin Tscharyiski ein wenig zu stark auf die humoreske Qualität des Textes, was bei Berg meistens fatal ist. Die Figuren sondern Gags ab, und das passiert meist in Rampenrede – da braucht man Bilder, die Berg nicht mitliefert, und wenn man die nicht erfindet, hat man eben sechs Schauspieler:innen, die ins Publikum reden, mal individuell, mal chorisch. Und nur weil der Text so gut ist, merkt man Tscharyiskis Inszenierung nicht an, dass sie es sich im Grunde ziemlich einfach macht.

In den Garten 1Sex? Nein danke. – Auch der Hipster-Daddy (Florian Lange) kann bei Bergs "Lysistratas" (hier Hanna Werth) nicht mehr punkten. © Sandra Then

Ein ästhetisches Statement des Abends ist der Musikeinsatz Sven Bühlers. Die drei Bernds singen dann einen künstlerisch diskutablen Schlager auf die fragmentierte Männlichkeit (womit die Brücke zum Einstieg mit Rammstein geschlagen wäre), die Lysistratas untermalen den 08/15-Sex mit einem gelangweilten "Bist du bald fertig?". Ist okay. Macht Spaß. Und legt ein wenig offen, dass Tscharyiski nicht wirklich viel eingefallen ist zu Bergs matriarchaler Museumsutopie.

 

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In den Gärten oder Lysistrata Teil 2
von Sibylle Berg
Regie: Christina Tscharyiski, Bühne: Dominique Wiesbauer, Kostüme: Svenja Gassen, Licht: Konstantin Sonneson, Musik: Sven Bühler, Dramaturgie: Lynn Takeo Musiol
Mit: Florian Lange, Jonas Friedrich Leonhardi, Florian Mania, Cennet Rüya Voß, Friederike Wagner, Hanna Werth
Dauer: 1 Stunde 15 Minuten, keine Pause

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