Aus der Dunkelheit

von Falk Schreiber

Heidelberg, 3.Mai 2022. Der Begriff "Lichtspielhaus" ist eine Lüge. Weil: Die hervorstechende Eigenschaft des Lichtspielhauses, also des Kinos, ist eben nicht das Licht, sondern die Dunkelheit, in der sich Fantasien und Geschichten manifestieren können. Wie im Theater. Oder im Dark Room.

Entsprechend hat Lea Göbel, Dramaturgin am Schauspiel Köln und Kuratorin der Netzmarkt-Schiene beim Heidelberger Stückemarkt, unrecht, wenn sie Paul Spittlers Theaterfilm "Dark Room Revisited" vom Berliner Maxim Gorki Theater als widersinniges Projekt charakterisiert: "War es nicht seltsam, im visuellen Medium Film über einen Raum zu erzählen, der hauptsächlich über Dunkelheit funktioniert?", fragt sie Spittler beim Nachgespräch, ohne zu erkennen, dass es in "Dark Room Revisited" weniger um den konkreten Dark Room als Raum geht, als vielmehr um die Geschichten, die dieser Raum ermöglicht.

filmstill dark room revisited julius feldmeier banafshe hourmazdi kleinRäume, in deren Dunkelheit sich Geschichten verstecken – "Dark Room Revisited" von Jchj V. Dussel, hier mit Julius Feldmeier und Banafshe Hourmazdi. © Filmstill

Ursprünglich hatte Jchj V. Dussel das Stück "Dark Room" 2019 als Auftragsarbeit für das Schauspiel Hannover geschrieben, als dokumentarisch aufgebaute Umkreisung eines Möglichkeitsraumes. Spittler legte die Nachinszenierung am Gorki weniger dokumentarisch an, er bezog sich in seinem ursprünglichen Konzept viel deutlicher auf den Raum – nur dass die Corona-Pandemie eine Inszenierung auf der Theaterbühne verhinderte. Statt als Theateraufführung arbeitete Spittler seine Idee fürs Netz um, drehte an drei Tagen einen Theaterfilm im Berliner Stadtraum und vor allem im queeren Club SchwuZ in Berlin-Neukölln.

Das Ergebnis ist jetzt beim Stückemarkt zu sehen, im (schwach besuchten) Marguerre-Saal des Heidelberger Theaters sowie für weitere 24 Stunden online auf www.theaterheidelberg.de. Das Theater verwandelt sich so ins Kino, ins Lichtspielhaus – in einen Dark Room verwandelt es sich nicht, auch wenn der Regisseur sich im Gespräch scherzhaft wünscht, dass sich das Publikum gerne näherkommen möge.

Lange Fahrten durch labyrinthische Keller

Fürs Näherkommen ist die Inszenierung freilich zu sehr Kunst. Zwar führt mit Rob Talin ein dämonischer Conférencier durch den Abend und zieht einen so böse lächelnd in das Ambiente hinein, zwar schwelgt Nadja Krügers Kamera in langen Fahrten durch labyrinthische Keller; was man allerdings sieht, ist doch immer wieder Theater. Unterteilt ist "Dark Room Revisited" in einzelne Szenen: eine bukolische Tafel, in der im Stile des "Opa erzählt vom Krieg" von ersten Dark-Room-Erfahrungen berichtet wird. Eine Dark-Room-Betreiberin, die eine Reihe von (teils absurden, teils nachvollziehbaren) Hausregeln runterbetet, wobei der Hinweis an die anwesenden Heterosexuellen tatsächlich ernstgenommen werden sollte: "Was immer deine Meinung über Dark Rooms sein mag: Du hast nicht für diese Räume gekämpft. Wir haben. Zeige Respekt!" Und ein Sparkassenangestellter aus dem niedersächsischen Northeim, der, beflügelt von Drogen und Sex, sein Coming-out hat, dabei allerdings ständig in Metaphern aus dem Anlagewesen spricht. Gerade in diesem Monolog zeigt sich, dass Dussels Vorlage auch als ordentlicher Boulevard durchgehen würde, mit Wortwitz, mit einem Blick auf die Figuren, der gleichzeitig von Bösartigkeit und Sympathie getragen ist.

filmstill dark room revisited jfeldmeier bhourmazdi maljubbeh kberger KleinWo das Publikum sich gerne näherkommen möge – Dazu zumindest lädt Regisseur Paul Spittler in "Dark Room Revisited" ein. © Filmstill

"Dark Room Revisited" beschreibt also Möglichkeitsräume. Räume, in denen Gefahren lauern: Krügers Bilder zeigen auch Unangenehmes, angesprochen werden Drogen und Übergriffe. Aber ebenso Räume, in deren Dunkelheit sich Geschichten verstecken, Persönlichkeiten, Träume, Entfaltungen. Die Kinosituation im Marguerre-Saal mag ungewohnt sein, sie passt aber, sicherlich besser als der gestreamte Theaterfilm am Laptop. Das Genre Film entfernt sich jedoch gleichzeitig von seinem Sujet: Das Lichtspielhaus ist ein Ort, der die Dunkelheit braucht. Viel mehr hat es aber mit dem Dark Room nicht gemein, zumindest nicht bei "Dark Room Revisited".

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Dark Room Revisited
Filmvorführung des Theaterfilms von Jchj V. Dussel in der Produktion von Paul Spittler
Regie: Paul Spittler, Director of Photography: Nadja Krüger, Setdesign und Kostüm: Cleo Niemeyer, Musik: Rob Talin, 1st AC und Schnitt: Ethan Folk, Dramaturgie: Yunus Ersoy, Licht: Sandra Glaser, Ton: Andrea Schmidt, Maske: Adriana Metzlaff, Projektleitung: Monica Marotta
Mit: Mazen Aljubbeh, Knut Berger, Julius Feldmeier, Banafshe Hourmazdi, Raphaël Amahl Khouri, Elena Schmidt, Rob Talin 
Dauer: 1 Stunde 25 Minuten, keine Pause

www.gorki.de

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