Mit dem Mittelfinger liken

Von Verena Großkreutz

Heidelberg, 30. April 2022. Das ist schon ein krass peinliches und unangenehmes Gefühl, plötzlich ultrarechte, frauenfeindliche, rassistische Kommentare zu liken oder Videokanäle zwielichtiger Influencer:innen zu abonnieren. Ist aber nötig im Single-Player-Game "Loulu" von onlinetheater.live, sonst kommt man nicht weiter und bleibt bei niedlichen Katzenvideos, Schminktipps und Yogastunden hängen. Man hat ja eine Aufgabe zu lösen, nämlich der befreundeten Influencerin Frida zu helfen, die Opfer eines fiesen, offenbar von der rechten Szene organisierten Shitstorms geworden ist und nun in Panik, Angst, Schrecken versetzt ist. Zu Recht, denn irgendwann wird es wirklich brenzlig für Frida, schießt der Adrenalinspiegel auch der spielenden Person in die Höhe. Warum, das soll an dieser Stelle nicht verraten werden. Das Spiel (für Menschen ab 18 Jahren) sollte man ohne viel Vorwissen spielen, sonst verliert es an Spannung.

Die App "Loulu" soll aufklären, in Form eines Spiels erfahrbar machen, wie rechte Influencer:innen in sozialen Netzwerken vorgehen, wie sie ticken, wie sie mit scheinbar harmlosen Videos die Massen erreichen wollen, um sie Stück für Stück mit ihren Feindbildern zu infiltrieren. Keine Frage: Soziale Internetplattformen, das macht "Loulu" mehr als klar, sind perfekte Keimzellen für die gezielte Radikalisierung.

Loulu Press 11 Print kleinIn "Loulu" erlebt man als Spieler:in, wie schnell einen die Algorithmen sozialer Kanäle in die ideologische Bubble befördern. © onlinetheater.live

Es gibt zwei Spielebenen: eine Videoplattform, die TikTok und Instagram nachempfunden ist, und ein Messenger, der funktioniert wie andere Messenger auch. Man switcht hin und her, zwischen Nachrichtenkanälen und Videos. Ein Balken zeigt an, wie weit man durch seine Likes schon nach rechts gerückt ist oder ob die Influencer:in von "Heimatliebe" oder die mit den Back-Videos zur rechten Szene gehören. Je mehr rechte Inhalte man liked, je weiter der Balken nach rechts rückt, desto krasser und ungeschminkter wird auch die rechte Propaganda. Bis man plötzlich ins private Netzwerk einer rechten Influencerin gebeten wird. So lernt man, wie das funktioniert mit den Algorithmen, die man gleichzeitig ja austrickst: Jeder Klick hat eine Wirkung, filtert diverse Inhalte heraus – wie etwa feministisch Aufklärendes oder LGBTQIA+ Betreffendes, wie überhaupt alles, was nicht rechts daherkommt. So bleibt am Ende nur noch die eigene Meinungsblase übrig.

Einblicke ins Medienstrategiehandbuch rechter Bewegungen

Das haben die Macher:innen und die Darsteller:innen perfekt hinbekommen: Das Fiktive echt wirken zu lassen. Gruselig, wie man in diesen Sog des braunen Sumpfes hineingezogen wird, nein, sich aktiv einsaugen lässt. Denn schließlich trifft man selbst die Entscheidung: Man will die rechte Brut ja enttarnen, entlarven, unschädlich machen. Wobei einem das Liken abstoßender Inhalte zumindest dadurch "versüßt" wird, dass als entsprechender Icon nicht das traditionelle Daumen-hoch verwendet wird, sondern ein Mittelfinger. In Zusammenarbeit und im Austausch mit Frida und anderen Helfer:innen, die man aktiv ausfindig machen muss in all den Kommentaren, kommt man ihnen jedenfalls auf die Spur. Ziel des Spiels ist, durch Austricken des Algorithmus so weit in den braunen Sumpf vorzudringen, dass man am Ende Einblick ins Medienstrategiehandbuch dieser rechten Bewegung erhält.

Der Gefahr, dass die Inhalte des Spiels von der falschen Seite genutzt werden und als Vorlage dienen könnten, sind sich die Macher:innen bewusst und weisen darauf hin, dass der Code aus diesem Grund nicht als Open Source veröffentlicht wird. Auch wird immer wieder durch Frida darauf aufmerksam gemacht, dass "Recherchen" in der rechten Szene, wie sie das Spiel nachzeichnet, gefährlich werden können.

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Loulu
Kostenlose Smartphone-App, Single-Player-Game
Empfohlen für Menschen ab 18 Jahren
Konzept, Dramaturgie, Regie: Kathi Kraft, Toni Minge, Luzia Oppermann und Caspar Weimann; Design und Spielentwicklung: Minge+Schmidt
Mit: Luzia Oppermann, Katrija Lehmann, Maxi Thienen, Alina Hidic, Otiti Engelhardt, Lily Josephin Frank, Vivi Gutheinz, Kim Patrick Biele, Sarah Palarczyk und David Krzysteczko, Dominik Tippelt, Mona Georgia Müller, Jacqueline Marcel Gisdol u.v.m.
Dramaturgie (HAU Hebbel am Ufer): Sarah Reimann
Produktion: onlinetheater.live und HAU Hebbel am Ufer
Spieldauer: ca. 1 Stunde 30 Minuten

www.onlinetheater.live
www.hebbel-am-ufer.de

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