Die Hamlet-Undine

Von Dorte Lena Eilers

7. Mai 2022. Nein, das ist nicht Hamlet. Das ist kein Mann, der, im Rücken die Ruinen Europas, mit der Brandung BLABLA spricht. Der den Leichenzug stoppt und den Sarg mit gebrochenem Schwert aufstemmt. Im Bild sitzt vielmehr eine Frau. Kichernd beschwipst und Selfies schießend, die nackten Brüste haarscharf unter der Schaumkante. Hamlets Fels ist in der digitalen Theaterserie "Princess Hamlet" nach dem gleichnamigen Stück der finnischen Autorin E. L. Karhu eine Badewanne. Hier planscht das weibliche Pendant zu Heiner Müllers Identitätsverweigerer: eine Hamlet-Undine, die ihre wahre Gestalt lieber verbirgt. 

So zumindest will es E. L. Karhu in ihrer feministischen Überschreibung des Hamlet-Stoffs erzählen: eine Prinzessin, die nicht mehr Prinzessin sein will, samt der damit einhergehenden aufoktroyierten Attribute. Doch statt eines emanzipativen Aktes sehen wir nun das: eine gibbelnde Drama-Queen, die laut Textbuch einen Moment existenzieller Freiheit erlebt. "Hamlet muss niemand sein." Und wo sonst – nee, is' klar – gelänge Frau das besser als im eigenen Bad? 

Kunstvolle Kamerafahrten, opulente Ausstattung

Irgendetwas also scheint zu Beginn leicht verrutscht zu sein in Niko Eleftheriadis und Marie Bues Theaterserie, die im Rahmen des Netzmarktes vom Theater Rampe aus Stuttgart zum Heidelberger Stückemarkt gereist ist. Allein über die Kategorisierung ließe sich streiten. Ist eine Serie, die in vier ca. zwanzigminütigen Episoden auf YouTube läuft, unter den Parametern des Digitalen bereits bemerkenswert? Gibt es, wenn man, wie zum Beispiel die Digitale Dramaturgie, über digitale Formate und Erzählweisen nachdenkt, nicht bereits avanciertere Projekte? Ist diese Serie, zumal sie in Heidelberg wie im Kino auf großer Leinwand gezeigt wird, nicht gar ein Anti-Netzmarkt-Stück? Anders jedenfalls ließe sich der Effekt nicht erklären, der jene Zuschauer:innen erwischt, die "Princess Hamlet" zuvor auf einem kleinen Smartphone-Display sahen (die Serie ist während des gesamten Festivals als Video abrufbar). 

Auf großer Leinwand nämlich kommen Grigory Shklyars kunstvolle Kamerafahrten, Indra Naucks opulente Ausstattung sowie die Feinheiten von Inszenierung und Spiel erst so richtig zur Geltung. Das Ambiente auf Hamlets Hof trieft förmlich vor schlechtem Geschmack. Vor floraler Papageien-Tapete sitzt Mutter Gertrud (Grazia Pergoletti) in steifem Kostüm und spricht "in her own words" in die Kamera: "Vielleicht sollte man an dem Punkt mal etwas erklären." Und das tut sie dann auch, vorrangig in Folge zwei, in der deutlich wird, wer hier im Hintergrund die Strippen zieht. Kein Wunder, dass Tochter Hamlet der Fluchtinstinkt ereilt. 

PrincessHamlet1 TheaterRampeDie royale Familie am Esstisch © Theater Rampe

Die Serie, die sich in ihren Episoden auf je eine Figur fokussiert – Hamlet, Gertrud, Horatia und Orfelio, letztere wie Hamlet gegengeschlechtlich definiert –, entwickelt vor allem im ersten Teil ihren Sog. Nach dem dramaturgisch etwas holprigen Einstieg beginnt man durchaus Interesse für diese offenbar schwer depressive Princess (Yevgenia Korolov) zu entwickeln, die mit ihrer Hofdame Horatia (Florentine Krafft) eigentlich in einer glücklichen Partnerschaft lebt. Doch immer wieder schiebt "das Entsetzen … der Prinzessin die Hand in die Kehle und ballt die Hand zur Faust". Mit harten Schnitten und in grellen Bildern erzählt Teil eins, wie sich Princess Hamlet angesichts der Starre des Hofes und der Starre des Genderkorsetts immer weiter emotional radikalisiert. Ihr apokalyptischer Erlösungswahn: Sie will sich verbrennen. Brennen wie eine Fackel und vom Felsen springen. Ein symbolschwangerer Akt der Befreiung. 

Herrlich semantischer Unsinn

Immer wieder scheint der Text an seinen Referenzpunkten Shakespeare und Heiner Müller entlangschaben zu wollen, ohne sie jedoch ernsthaft zu touchieren. Statt Särge werden in Nahaufnahme Austern geöffnet – wobei diese Momente, in denen mit knarzender, schabender, knackender Brutalität Schalen gespalten werden, um das vulvenblasse Innere preiszugeben, performativ tatsächlich die stärksten sind. Niko Eleftheriadis als Gertruds kleiner Bruder schießt noch hier und da herrlich semantischen Unsinn dazu, während Johannes Frick am Klavier Elton John verparodiert. Je weiter die Serie indes fortschreitet, desto mehr verliert sie sich in ihren Bildern. Zum Schluss glaubt man, einem sehr, sehr langen Videoclip beizuwohnen. Zum Binge Watching verführt dieser leider nicht.  

 

Princess Hamlet
nach E. L. Karhu 
Regie: Niko Eleftheriadis und Marie Bues, Bühne und Kostüme: Indra Nauck, Bildregie: Niko Eleftheriadis und Grigory Shklyar, Kamera: Grigory Shklyar, Musik: Johannes Frick, Dramaturgie: Paula Kohlmann, Schnitt: Grigory Shklyar, Tonmischung: Timo Kleinemeier.
Mit: Niko Eleftheriadis, Johannes Frick, Yevgenia Korolov, Florentine Krafft, Grazia Pergoletti 
Online-Premiere Folge 1: 25. März 2021 

www.theaterrampe.de 
 
 
 

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